Mittwoch, 26. Juli 2006

Zeitzeugen

Mein Opa ist mittlerweile Mitte 70, meine Oma Anfang 70. Seitdem ich mich erinnern kann ist es Tradition, dass wir Enkel des ältesten Sohnes uns jeden Mittwoch mittag dort zum Essen einfinden. Früher war das eine lästige Pflichtveranstaltung, aber mittlerweile ist es wirklich schön.

Früher unternahmen wir nach dem Essen immer Waldspaziergänge mit den drei Hunden und kamen dabei auch regelmäßig an einem dieser alten Luftschutzbunker vorbei. Und jedesmal wieder begann meine Oma zu erzählen, wie sie damals, im Krieg, immer in sowelchen Luftschutzbunkern Schutz suchen mussten. Wie sie ihre 10 Jahre jüngere Schwester beneidete, weil sie damals als Säugling alles verschlafen konnte. Etwas, was sie auch gerne erzählte war, dass sie in der Schule auf die umliegenden Häuser mit Luftschutzbunker verteilt wurden und das ihr Luftschutzbunker in einer Bäckerei war. Das es dort immer so lecker nach Brot gerochen hatte und ihr jedesmal der Magen geknurrt hätte. Und überhaupt das es damals ja so wenig zu Essen gegeben hätte. Vorallem Gemüse und Obst wäre so rar gewesen. Aber ihre Mutter hätte ja einen kleinen Garten gehabt und so gab es zumindest im Sommer ausreichend zu essen.
Damals, als 10- oder 11-jährige waren diese Erzählungen aus der Vergangenheit einfach nur lästig, weil man damit nichts anfangen konnte und es nur verunsicherte, irgendwie auch ein bisschen ängstigte.
Ich erinnere mich auch noch gut, wie meine Oma uns eines Tages, als sie uns nach Hause fuhr, erzählte, was mein Opa auf seinem Weg vom damaligen Preußen bis hier nach Herford erlebt hatte. Er war alleine mit seiner Großmutter dort weggegangen, diese starb unterwegs und er musste sie in Mecklenburg-Vorpommern irgendwo beerdigen. Unterwegs muss er wohl wirklich weniger schöne Dinge mit erlebt haben, beispielsweise wie vor seinen Augen einem Mann mit einem Beil der Kopf gespalten wurde. Gut, wie gesagt, als Kind will man sowas eigentlich nicht hören und ich glaube ich hatte danach auch noch wochenlang Albträume.
Das komische war, immer wenn die Rede auf den Krieg kam, wurde mein Opa ganz still und ließ meine Oma erzählen. Überhaupt habe ich das Gefühl, dass meine Opa früher viel mehr in sich gekehrt war.

Vor zwei oder drei Jahren reisten die zwei dann nach Mecklenburg-Vorpommern und besuchten die Kirche, wo mein Opa seine Großmutter begraben hatte. Und seitdem scheint er ein ganz neuer Mensch zu sein. Mag sein, dass es daran liegt, dass ich älter geworden bin, aber vielleicht hat ihn das auch wirklich verändert. Zumindest ist es seitdem für mich möglich, mich vernünftig mit ihm zu unterhalten. Da ist es egal, ob es um das politische Tagesgeschehen ist, über das er sich aufregt, ob er versucht mir oder meinen Brüdern gutgemeinte Ratschläge auf den Weg zu geben oder ob wir uns einfach nur gegenseitig ärgern.
Und seitdem redet er auch mehr über seine Vergangenheit. Über die Schule, auf die er gegangen ist, über seine Erlebnisse mit den Russen, über die Zeit nach dem Krieg. Und auch wenn sowelche Gespräche (ok, in vielen Fällen sind es eher Monologe) immer ein wenig schwierig zu handhaben sind, weil es schwierig ist darauf zu reagieren, so ist es doch immer wieder interessant, weil es eben authentische Zeitzeugenberichte sind. Es ist die eine Sache über den zweiten Weltkrieg und die Nachkriegszeit in Schulbüchern zu lesen. Eine ganz andere ist es, das aus dem Mund eines geliebten Menschen zu hören.
Kaweechelchen - 26. Jul, 17:10

Ich könnte mir sehr gut vorstellen, dass ihn dieses Erlebnis verändert hat.
Wenn ich an die ganzen psychischen Belastungen denke, die diese Menschen ein Leben lang mit sich herumtragen, bin ich froh so behütet in einer Gesellschaft aufgewachsen zu sein. Man sollte eigentlich jeden Tag vor Dankbarkeit auf die Knie fallen, das der Körper so gesund und man nicht arm oder im Krieg lebt und das man Bildung und Kultur genießen kann usw..Manchmal glaube ich, die meisten Menschen sind sich dessen völlig unbewusst.

night shadow - 26. Jul, 17:29

Ja, genau der Gedanke kommt mir bei sowas auch immer. Aber die meisten Menschen sind eben nicht dankbar für das, was sie haben, weil es eben normal ist.
Mir ist auch nur selten bewusst, dass ich eigentlich dankbar sein sollte, dass es mir so gut geht, aber es ist wohl menschlich sich darauf zu konzentrieren, was man nicht hat, anstatt das zu würdigen, was da ist.
Kaweechelchen - 26. Jul, 22:09

Ja wahrscheinlich.......das ist wie mit dem Neid und dergleichen.Wobei ich mir schon jeden Tag klar bewusst mache was ich habe.. habe gemerkt dass das glücklicher macht. Selbsttherapie.

HG

Dreh dich um,
dreh dich um.
Vergiß deine Schuld, dein Vakuum.
Wende den Wind, bis er dich bringt
weit zum Meer.
Du weißt, wohin.

...

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